Corinne Wasmuht

CORINNE WASMUHT

Im Lebensgefühl der Zeit sind die Augen weit geöffnet. Sie lassen jedes der unzahligen Bilder ein, die sich ständig und aus allen Richtungen her anbieten. Scanner für das Bild der Welt, Instrumente, die immer auf Empfang gestellt sind. Bleibt es beim blossen Registrieren, droht jedoch die Neugier nachzulassen.Die extrem erweiterten und beschleunigten Möglichkeiten, Bilder herzustellen, zu übermitteln und aufzunehmen, besagen noch nichts für den symbolischen Prozess, für die Fähigkeit und den Willen, den visuellen Daten Bedeutung zu geben.
Auch die Bilder von Corinne Wasmuht setzen bei der Flut visueller Informationen ein. Sie wird jedoch nicht als blosse Tatsache akzeptiert, wobei es nur noch darauf ankäme, das geschickte Sichtreibenlassen in ihr zu erlernen. Unter bestimmten thematischen Vorgaben wird das Material vielmehr in immer wieder neuen Durchgängen auf seine Komplexität und seinen möglichen Sinngehalt überprüft. Also nicht Aufzeichnung eines Bilderstroms, sondern Anlage eines eigenen Bildedrkosmos. Das jedoch geschieht mit den Mitteln der Malerei, mit den Mitteln einer traditionellen, disziplinierten Malweise, die aus einer ganz anderen Zeit kommt und die obsolet zu sein scheint. Eine zeitgenössische, von avancierter Technik bestimmte Lebenserfahrung wird – auf zuerst paradox anmutende Weise – mit einem gleichsam anachronistischen Instrument bearbeitet. Das ist nicht der Versuch, gegen Windmühlen zu kämpfen, also etwa die Überzahl und die Geschwindigkeit der medialen Bilder zurückzudrängen, sondern Analyse aus der bewusst gewählten Distanz heraus. Die Malerei verlangsamt und verkörperlicht die Bilder. Sie zwingt zu Nähe und Sinnlichkeit und ermöglicht zugleich Abstand und Überblick. Sie vertraut nicht auf die blosse Wirkung der gegebenen Bilder, sondern erschafft sie neu. Und weil das Bild allein noch keine Analyse ist, weil das noch so durch die Zeichnung strukturierte Abmalen keine Einsicht garantiert, werden die verschiedenen Weisen der Montage um so wichtiger. Die Schnittstellen zwischen den einzelnen Elementen, die so scheinbar unschuldigen und sinnleeren Muster, die Bilder von Corinne Wasmuht konstruieren, sind ihr eigentliches Kraftzentrum. Hier erweist sich nicht nur die analytische Fähigkeit des historischen Instruments Malerei. Hier wird auch die Nähe zu den Organisationsstrukturen technischer Bildherstellung und -verarbeitung sichtbar. Und hier schlägt der Puls der Bilder, ihr zeitgenössischer, Musik verwandter Rhythmus, der nicht Mechanik und Abdankung von Persönlichkeit, Einsicht und Kommunikation bedeutet, sondern Neuschaffung eines tragfähigen Grundes für das Sehen der Welt unter veränderten Umständen. Die “Pforten der Wahrnehmung” öffnen sich immer wieder anders.

aus: Julian Heynen, Augen-Puls,
in: Wasmuht-Gerwers-Skreber,
ars viva 96/97 Malerei, hrsg. vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDi e.V., Köln 1996, S.9-11.

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