Zilla Leutenegger, Mirjam Staub & Isabel Truniger
Ein Subjekt vor dem Subjekt
Der Katalog, den die Künstiergruppe
x-position 1996 zu einer bloss imaginierten Ausstellung von Zilla Leutenegger
in der Shedhalle Zürich gestaltete, zeigt nebst einem geklauten Text, in den
der Name der Künstlerin eingefügt ist, am Computer erstellte Photographien von
Aus-stellungssituationen: An den Wänden hängen aufgeblasene Videostills. Diese
sind der ersten Videoarbeit von Zilla Leutenegger entnommem, der Installation
PORTRÄTS 1995, die auf vier Monitoren mit je einem Video-band Autoporträts in
unterschiedlicher Umgebung nach- und nebenein-anderstellt. Die Sequenzen dauern
jeweils einige Minuten und gleichen sich insofern, als Zilla Leutenegger nur
immer aus ähnlicher Distanz in die Kamera und bisweilen von ihr weg zur Seite
sieht. Der Moment, die neue Kamera auszuprobieren und die Versuche, sich selbst
in ein Verhältnis zu ihr zu stellen, fallen zusammen und symbolisieren sich
gegenseitig. In dieser Weise konstruiert PORTRÄTS 1995, liesse sich mit Blick
auf die folgenden Arbeiten, in denen Zilla Leutenegger stets wieder selber
auftritt, behaupten, eine Art Urszene der Künstlerin. Der Katalog nun erzählt
diesen Anfang zugleich als ein zweites Mal:
als Eintritt in die Institutionen des
Kunstbetriebs, und diese Insze-nierung erscheint als Phantasie.
In ihren neuesten Arbeiten realisiert
Zilla Leutenegger ver-schiedene Szenarien, die sich als Kinderwünsche lesen
lassen. Die Auftritte als Balletttänzerin in ZILLA NINA BALLERINA 97, als
Popstar in THE MOLES 97 oder als Opemsängerin führen dabei aber in ihrer steten
Verfehlung auch das Schmerzliche auf, das die Versuche, derart vorgezeichnete
Plätze zu besetzen, immer schon einüben. Als ambiva-lente Tagträumereien treten
sie in Beziehung zu den ersten Porträts <auch jene realisieren einen Wunsch,
wenn sie vorgeben, die Abgebil-dete zur Künstlerin zu machen), wobei die
phantasierten Bühnenauf-tritte als eingebunden in die Struktur der
Porträtaufnamen erscheinen. Letztere aber ,,urspringen" darüber hinaus die
Künstlerin tatsächlich (wogegen sie mit den späteren Videos nicht wirklich zur
Sängerin wird>, und der erwähnte Katalog dramatisiert die Realität, die nach
einer Erklärung verlangt, noch einmal als Ursprung einer Geschichte. In ihrer
Kunst begegnet die Ktlnstlerin sich immer selbst: Dieser erste Satz im
Shedhalle-Katalog von Zilla Leutenegger lässt sich als jener theoretische
Einsatz lesen, der die Fantasie von der Künstlerin stabilisiert. Als solcher
wird er, ins Kunstwerk selbst hineinversetzt, in verschiedenen Arbeiten
variiert.
In SPIEGLEIN, SPIEGLEIN 1997 tanzt die
Künstlerin in ihrem Zim-mer vor einem Spiegelschrank, wobei das Spiegelbild
sowohl zur Kon-trolle/Korrektur der Tanzbewegungen behilflich ist, als auch den
Part-ner abgibt, mit/für den getanzt wird. In dieser Weise liesse sich
argumentieren, ist der andere aus dem Club immer schon präsent. Derart wird die
Unterscheidung zwischen Privatem und Öffentlichem problema-tisch, und dies wird
im Moment der Aufnahme noch akzentuiert: Wenn das Video dieser Heimubung im
Kunstkontext erscheint, geht es weniger da-rum, ein wahres Gesicht oder ein
Geheimnis der Künstlerin offenzule-gen, sondern die Szene ist so gut geglückt
(wie manches beim Üben am besten gerät), dass sie gezeigt werden kann.
In THE WAY YOU MAKE ME FEEL 1997 tritt an
die Stelle des Spie-gels ein Computerprogramm, und der Fokus verschiebt sich,
wie der Ti-tel anzeigt, vom Medium auf die Beziehung zwischen Subjekt und
Objekt. Als Zilla Leutenegger, diesmal im Atelier, eine Weile getanzt hat,
tritt eine zweite, dann eine dritte identische Figur auf, und beide bewegen
sich mit zur Musik, bis die zweite den Kassettenrecorder, der auf dem Tisch
steht, ausschaltet. Dass, wer tanzt, dies gleichzeitig für sich und für den
andern tut, diesen Zwiespalt überbrückt hier das
Produktionsverfahren: Zilla Leutenegger
macht aus derselben Kamerape-sition drei Aufnahmen nacheinander und fügt sie am
Bildschirm zusam-men: Die Momente von Interaktion zwischen den Tanzenden, die
sich nun ergeben, sind rein kontingent.
Die Perspektive, die diese beiden
Arbeiten im Verhältnis zueinander andeuten, liesse sich anfügen, wird in
AEROBIC WITH ZILLA ZACK 1997 wieder ins Bild gesetzt. Auf dem Videoband führt
die Künstlerin wäh-rend 50 Minuten Aerobiclektionen vor. Neben/hinter ihr wird
das Bild, das die Kamera aufnimmt, ,,gleichzeitig" an die Wand projiziert,
so dass es in sich wiederum erscheint und sich weiter fortsetzt. In einer
Installation/Performance absolvierte Zilla Leutenegger das ganze Pro-gramm als
öffentliche Lektion noch einmal, nun synchron vorgetragen zum angefertigten
Videoband, das sie dazu abspielte. Die Teilnehmer-Innen wiederum wurden,
mitsamt Zilla Leutenegger, von einer installierten Videokamera aufgenommen und
erschienen neben dem Homevideo als zweite Projektion an der Wand. In dieser
maschinellen Verschaltung, die den eigentlichen Kunstraum installiert, ist die
Künstlerin immer schon da.
Tan Wälchli
Winter 1997
Mirjam Staub ( 1969 )
Today everything exists to end in a
photograph beklagt sich Susan Sontag in einem Essay über die Auswirkungen der
Photographie auf die Realität. Mirjam Staub ist den Dingen auf der Spur, die
durch das Einkaufsnetz der Kamera fallen. Während eines Aufenthalts in Holland
verordnet sie sich ein rigides Programm der Selbstüberwachung. Alle Gegenstände
des täglichen Gebrauchs, für die sie Geld ausgibt, werden acht Wochen lang
photographisch dokumentiert. 303 Fotos von Tomaten, Tampax, Twix, Brot und Käse
erzählen von einem asketischen Künstler-innenleben. Doch das visuelle Tagebuch
weist Lücken und Manipulationen auf. Schon nach einiger Zeit versucht die
Künstlerin, die Kamera zu überlisten. Sie vergisst den Apparat, weiss an
einigen Tagen nicht mehr, was sie schon alles fotografiert hat, klaut
Toilettenpapier, um es nicht fotografieren zu müssen, lässt sich von Freunden
zum Essen einladen. ,,Ich mag nicht mehr kochen, das heisst nicht mehr
einkaufen, das heisst nicht mehr fotografieren," schreibt sie ihrem
Freund. Die Künstlerin ist an den strengen protokollarischen Vorgaben
gescheitert. Der Versuch einer empirischen Beweisführung, dass es keine
empirisch nachweisbare Realität gibt, ist jedoch gelungen.
That's the way you photographers work, schrieb ihr einmal ein ehemaliger
Geliebter. ,,You get your model as your lover and then they get that special
look in their eyes. (what look?)." Blicke lügen nicht
-oder doch? Was sagen ein begehrlicher Augenaufschlag, ein paar ver-schränkte
Arme aus über die Wirklichkeit von menschlichen Beziehungen? Ich habe ihn noch
nie so gesehen, bis zu dem Moment, wo ich ihn photographiert habe. Wenn ich das
Bild jetzt anschaue, sehe ich, dass es mit uns nicht gut gehen konnte."
lautet der handgeschriebene Kommentar unter dem Foto eines jungen Mannes. Doch
das Gefühl von bekennerhafter Authentizität erweist sich als trügerisch, der
traurige Gesichtsausdruck des Porträtierten reicht nicht für eine
charakteranalyse. Aus dem ,,So ist es gewesen" von Roland Barthes ist ein
,,Es hätte auch anders gewesen sein können" geworden.
Als es passiert ist, hatte ich
dummerveise die Kamera nicht dabei, lautet der Untertitel eines unspektakulären
Fotos, auf dem ein Treppenaufgang zu sehen ist, der zu zwei verschlossenen
Türen führt. Aus dem Spannungsfeld zwischen Foto und Text ergibt sich das
Eigentliche, das immer woanders ist. Mirjam Staub zeigt nicht, was die
Photographie enthüllen kann, sondern was sie verbirgt, ganz nach dem Prinzip
eines Striptease, der so lange fesselnd ist, bis alle Masken gefallen sind.
Eine nackte schöne Frau steht vor dem Fotografen in und bläst einen grossen
weissen Ballon auf, der ihre Brüste verdeckt. Mirjam Staub erwischt den
,,richtigen Augenblick" und drückt auf den Auslöser - bevor der Ballon
platzt.
Beate Engel
Isabel Truniger ( 1970 ) über ihre
Arbeiten
(Fragen: Michelle Nicol )
Gilles Lipovetsky sprach vam Narziss als
dem universellen Sinnbild unserer Gesellschaft. Deine Modelle sind nicht
professionell - und posieren doch mit einer gewissen Lust. Holst du den Narziss
raus?
Klar posieren sie. Sie sind nicht in
ihrer Stube, sie sind im Studio und spielen. Ich muss ihnen allerdings
erklären, dass ich mit ihrer Hilfe meine Bildideen darstellen will und sie
nicht als reale Per-sönlichkeiten zeige. Die Mischung zwischen einer Pose und
einer sim-plen Selbstdarstellung ist spannend. Es ist aber oft recht ungewohnt
für meine Modelle, sich so zu präsentieren, wie ich will.
Die Photographie ist der exemplarische
Ort des Unauthentischen, des Unnatürlichen und des Scheins. Deine Bilder sind
offensichtlich inszeniert. Was schätzt du an dieser Künstlichkeit, am Moment
des Eingefrorenen?
Ich liebe klare und direkte Bilder. Am
liebsten stelle ich jemanden vor einen weissen Hintergrund. Mir graut vor
Interieurs. Wenn meine Modelle spezielle Kleidung tragen, dann werden die Fotos
oft als Modephotographie gelesen - und darum geht es mir nicht. Grundsätzlich
mag ich Nacktheit, der Mensch wird ,deutlicher' durch das Weglassen, aber das
hängt vom Thema ab. Ich zeige gerne Stofflichkeit, die Struk-tur der Haut oder
der Haare. Inszenierung bedeutet aber auch, eine Bildsprache entwickeln.
Die Ästhetik deiner Arbeit ,Sexus'
generiert sich in einer glatten Oberfläche. Wie wichtig ist die ,schöne'
Präsentation?
Technische Perfektion interessiert mich
eigentlich nicht. Ich arbeite jedoch gerne mit dem Licht, was im Studio besser
möglich ist. Das qualitativ gute Bild kann bei gewissen Themen einen
Widerspruch auslösen. Was meine Modelle anbelangt, wollte ich für ,Sexus' weder
hässliche noch wunderschöne Leute zeigen. Pickel oder dicke Beine empfinde ich
als normal. Ich wollte Personen mit ihren mehr oder weniger perfekten Körpern
darstellen. Ich finde meine Model-le schön, weil ich sie kenne.
Deine Bilder sind weder Dokumentationen,
noch sind es Fiktionen. Bist du eine Manipulatorin?
Manchmal, es ist ein Wechselspiel.
Einerseits sind die Modelle für mich eine Art Schauspieler. Anderseits suche
ich solche aus, die etwas von sich einbringen. Zum Angewöhnen gebe ich
Anweisungen und sage stellt euch so hin" oder ,,schaut in die
Kamera". Meine Darsteller dürfen die Bilder begutachten, bevor sie veröffentlicht
werden. Manchmal habe ich seltsame Ideen und meine Darsteller verstehen nicht,
worum es geht. Es war aber noch nie der Fall, dass ein Modell etwas nicht
machen wollte.
Wir sind eine Gesellschaft des
Spektakels. Was passiert auf dienen Bildern?
Die Leute zeigen etwas von sich, das ist
alles. Du schaust das Bild an und es sagt dir Dinge, die du kennst. Im besten
Fall erzählt ein einfaches Bild eine Geschichte. Es geht mir nicht um das
Spektakuläre, sondern um eine Stimmung.