AURA with Walter Dahn, Rosemarie Trockel, Dirk Bell and Lothar Hempel

AURA
DIRK BELL, WALTER DAHN, LOTHAR HEMPEL, ROSEMARIE TROCKEL

Gespinste aus Raum und Zeit

Aura in der Galerie Ars Futura

Auch im Zeitalter der Elektronik ist die Aura nicht ganz aus den Kunstweren verschwunden. Auf jeden Fall nennen sie die Künstler immer noch beim Namen. So stand das Wort “Aura” auch am Anfang der gegewärtigen Ausstellung in der Galerie Ars Futura in Zürich. Die vier eingeladenen Künstler – Dirk Bell (1969), Walter Dahn (1954), Lothar Hempel (1966) und Rosmarie Trockel (1952) – zeigen unter diesem Titel bereits vorhandene Arbeiten oder schufen neue dafür. Es sind, von einigen Ausnahmen abgesehen, alles Zeichnungen. Der zeichnerische Strich, nahe bei der Idee und der Empfindung des Künstlers, legt in seiner skizzenhaften Anlage nichts fest, sondern lässt der gestalterischen Phantasie Raum. Der nuancenreiche Bereich des Schwarz-Weiss eignet sich besonders zur Angabe undefinierter Stimmungslagen. Und es sind ja gerade die Zwischentöne, angesiedelt zwischen dem Realen und Irrealen, zwischen dem Vertrauten und Rätselvollen, welche das Wesen der Aura – dieses “sonderbare Gespinst aus Raum und Zeit” (Benjamin) – bestimmen.

Die Begegnung mit Walter Dahn ist überraschend: Der für sein farbiges Ungestüm bekannte Maler wird als Zeichner zum verhaltenen Deuter atmosphärischer Werte. Mit knappen Signeten webt er ein Gespinst von persönlichen Stimmungen. Auch Rosmarie Trockel geht von der eigenen Erfahrung aus und evoziert die gespannte Atmosphäre ihrer kindlichen Märchenerfahrungen.

Ein halb belustigendes, halb beängstigendes Gesicht mit einer überlangen Nase erscheint auf ihren Blättern und schwankt zwischen sexueller Anspielung, Karikatur und Phantasiegebilde. Dirk Bell scheint zu zögern, wenn es darum geht, eine Figur festzuzeichnen; er deutet sie nur an, umreisst ihre Silhouette und belässt sie in einem Schwebezustand zwischen An- und Abwesenheit. Auch bei Lothar Hempel bleibt alles im Ungefähren: in seiner Installation “Eine blasse Kolonie” schreiten kleine, aus Photographien ausgeschnittene Figuren durch ein Tor in den leeren Raum. Die dem Betrachter den Rücken zuwendenden Passanten wecken Assoziationen, die ins Offene einer möglichen Geschichte führen. Bei allen Unterschieden ist den vier Künstlern im Umgang mit dem Begriff “Aura” der Verzicht auf jegliches Pathos gemeinsam. Und wenn Rosmarie Trockel dennoch einen Mädchenkopf mit einem Nimbus umkränzt, so tut sie das mit der gehörigen ironischen Distanz.

Neue Zürcher Zeitung, 24.2.1997


WALTER DAHN

Die Mützen sind gesichtslos, keinem Kopf wärmen sie Ohren und Schläfen. Aber sie sind lang genug ein ganzes Gesicht zu verbergen. Das Gesicht wäre ein körperloses, behend schweben die Stirnmäntel über dem Tisch. Paarig, zwillingsverwandt, auf gleicher Höhe haben sie sich entschieden der Schwerkraft zu entsagen. Ihr Schweben ist kein hinaufschnellendes Verschwinden, es ist ruhelos, aber nicht übertrieben, eher nachdenklich, auf halber Höhe innehaltend. Ihre Form erinnert an Eichen, die der Spaziergänger im Herbst vom Waldboden pflückt, um sie eine Weile gedankenlos im Handteller hüpfen zu lassen. Mit der Wiederkehr geschäftiger Überlegungen, schleudert er dann die zuvor fast liebevoll und achtsam gesammelten Hülsen zwischen die Baumreihen, im schwung der Wurfbewegung ist es für einen Augenblick, als zittere, oder trauere seine Hand den gewaltsam entlassenen Eichenfrüchten ein wenig nach. Solche Trauer wiederholt sich im Mitschwingen der Tischplatte. Sie, die für das Abheben der Mützen zunächst eine Art beständiger Grund gewesen war, gleitet im Sog derer Aufwärtsrichtung hinterher, ihr Aufstieg lässt die Ohrwürmer in Zweifel geraten ¸ber die Art der eigenen Bewegtheit. Der Tisch könnte gläsern sein und unterhalb der Platte könnten neue Mützen in ihrer Aufwärtsbewegung eine weitere Grundfläche nach sich ziehen. Denn die Stellebene der Platte ist ohne Bein.

Marcus Steinweg

Enquiry