Inez van Lamsweerde

INEZ VAN LAMSWEERDE

Vor etwa acht Jahren machte ich mit Richard Prince´s “Spiritual Amerika” (1983) Bekanntschaft. Die Aufnahme enthielt eine prächtige Messinglampe, von der ein Lichtstrahl ausging, der mitten von Brooke Shields´ glattem Körper entlanglief. Bis deren Licht erloschen war, benützte ich die Fotografie als Nachtlampe. Jedesmal wenn ich aufwachte, zwinkerte mir so Brooke Shields mit ihrem riesigen geschminkten Gesicht und ihrem Babykörper zu. Dieses Bild, das Gegenstand eines Sittlichkeitsprozesses war, machte mich sündig und widerlich; es hielt mich, mit seiner von einem Makeup-Designer ersonnenen Erotik, in einer pädophilen Phantasie gefangen.
Das selbe widerliche Gefühl befiel mich, als ich zum ersten mal “Final Phantasy” (1993) der Holländischen Fotografin Inez Van Lamsweerde sah. In dieser Porträt-Serie, die nach einem Video-Game benannt ist, behandelt Van Lamsweerde das Thema der Unschuld als Kunstgegenstand. Sie zeigt Bilder, darin Richard Prince vergleichbar, die zu einschlägig sind, als dass man sie leichthin ertragen könnte. Die Van Lamsweed´-sche Erotik löst aber ehr Ablehnung als Schuldgefühle aus. Denn die Künstlerin hat in dieser Serie dreijährige Modelle benutzt und sie in die Pose von lasziven Erwachsenen gestellt. Die sorgfältig konstruierte Anspielung auf Kinderpornos wird von der Computer-Bildbearbeitung gekontert, indem die (Schmoll-) Münder der Mädchen durch lüsterne Münder von Männern ersetzt sind. Diese kleinen, unschuldigen Kinder mit ihren erwachsenen Mundwerken, mit ihren schüchternen Posen erinnern uns an die Notwendigkeit, kindliche Sexualität anzuerkennen, ohne ihr nahezutreten.Eine ähnliche Bilderserie erschien in der Septemberausgabe (1994) der Britischen Zeitschrift “The Face”. In einer Bildreportage mit dem Titel “Global Warming” wird eine stark geschminkte Frau, die einen zweifarbigen Stretch-Satin-Spitzen-Hosendress trägt, mittels Paintbox in den Untersuchungsraum einer Kinderpraxis versetzt. Das Modell hebt das T-Shirt eines kleinen Jungen und berührt seine Brust, so wie wenn sie mit einem Stretoskop daran horchen würde. Er lächelt und ihr Kopf ist nach hinten gebeugt; ihre Augen glänzen im Licht, wärend ihrem Mund ein unterkühlt-erfreutes “Oh” zu entgleiten scheint. Sie scheint nicht wirklich präsent, wie auch der Kleine sie nicht wirklich anzulächeln scheint. Immerhin lächelt er, und die damit suggerierte Phantasie erinnert an alzu intime Verbindungen. Wichtiger noch zeigt das Bild die Einschränkungen auf, die der weiblichen Sexualität gesetzt werden. Während die zeitgenössische Kunst mildere Formen erotischer Beziehungen zwischen Männern und Jungen mitsamt der damit verbundenen Phantasien sanktioniert hat, sind ähnliche Darstellungen mit Frauen immer noch selten; sie wären zu bedrohlich, um erotisiert zu werden. Van Lamsweerde schickt ihre Modelle hin und her zwischen den Stillen eines “Cosmo”-Covers, von Helmut Newton´s Plagiaten oder von billigen Versandkatalogen mit ihrer neutralisierenden Leblosigkeit. Eher, als dass sie solche Darstellungen des weiblichen Körpers kritisieren würde, spielt sie mit diesen Systemen, indem sie Bilder herstellt, denen vielleicht ein Plan zugrunde liegt, vielleicht aber auch nicht, oder vielleicht eine subversive Idee, vielleicht aber auch nicht. Ob sie ihre Modelle synthetisch aufmacht oder ob sie sie eben damit heruntermacht – die Models strahlen immer jene Pop-Erotik aus,die man von den Bildern Mel Ramos´ her kennt. Sie scheinen ewig nur Modell zu stehen und im Studio zu leben. Oft sind sie posiert wie auf ein Objekt gestützt, das man ihnen eben weggenommen hat. So fehlt die Ketchup-Flasche oder das Rinozeros, an die sich Ramos Frauen schmiegen.

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