Machine Naturelle

THOMAS FEUERSTEIN: MACHINE NATURELLE

In der Ausstellung MACHINE NATURELLE baut Thomas Feuerstein aus Skulpturen, Objekten und Installationen eine artifizielle Landschaft, die gleichzeitig ein Laboratorium ist, in dem sich Kultur- und Natur-geschichten überlagern. Prozessuale Skulpturen, in denen Algen wie in Blutgefäßen zirkulieren, wecken Assoziationen zu futuristischen Zimmerpflanzen, technoiden Bioreaktoren und paradiesischen Jungbrunnen. Die Tischskulptur LABORANT versammelt ein Konvolut aus Laborgläsern, Destillen und Reaktoren, in denen Algen zu chlorophyllgrünem Pigment für Bilder sowie durch Fermentierung zu Zuckerglas für Plastiken aufbereitet werden. Mit transparenter Zuckerlösung, die über die Umwandlung der Cellulose in Glucose aus den Algen gewonnen wird, malt Feuerstein Bilder der Serie FLY ROOM. Die Bilder agieren als Fallen und Fliegenfänger: Drosophila Fliegen saugen an den Pinselstrichen, bleiben haften und werden zu Bildpunkten für unterschiedliche Motive: Schule, Gefängnis, Mausoleum, Liebes- und Paradiesgarten. Feuersteins Wahl der architektonischen Grundrisse ist wohl intendiert, denn es sind Stationen, in denen Menschen für eine bestimmte Zeit ihres Lebens kleben bleiben, sich verändern und mutieren.

Feuerstein greift in den ausgestellten Arbeiten auf Modell-organismen der Biologie zurück und zeigt sie als moderne Fabelwesen. Exemplarisch dafür stehen die Alge Chlorella vulgaris und die Taufliege Drosophila melanogaster. In den Arbeiten erzählen sie Geschichten über den Menschen, die über die Wissenschaft hinaus sich mit künstlerischen Fiktionen, sozialen Utopien und politischen Szenarien verbinden. Als universeller Treibstoff allen Lebens nimmt Glucose eine zentrale Stellung in der Ausstellung ein. Glucose erzeugt Feuerstein nicht nur aus Algen, sondern auch aus kulturellen Artefakten. Bücher bzw. deren aus Cellulose bestehenden Papierseiten werden biochemisch zu Glucose. Literatur verwandelt sich in Zucker: Huysmans’ Roman A rebours und Hegels Phänomenologie des Geistes werden Malmaterial; aus der Theodizee von Leibniz und Voltaires Candide formen sich Skulpturen. MACHINE NATURELLE zeigt ästhetische Transformationen und materielle Sublimierungen, die Antagonismen zwischen Natur und Kultur, Kunst und Wissenschaft in eine prozessuale Poetik überführen. MACHINE NATURELLE liest sich in dieser Bedeutung ambivalent: Sie ist Natur, die Maschine wird und Maschine, die Natur wird.

„Die Bilder, für die sich Thomas Feuerstein interessiert, sind (…) überindividuelle Modelle. Was ihn antreibt, ist eine Faszination für narrative Figuren oder bildhafte Vorstellungen, die die menschliche Gesellschaft über sich und das soziale Leben kollektiv entwickelt hat. Das können mythische Geschichten (…) sein, oder eben die Taufliege „Drosophila“, die seit Ende des 19. Jahrhunderts der wissenschaftliche Modellorganismus schlechthin ist. Sie alle sind keine individuellen Erfindungen, sondern Ready-Made-Kunstwerke und Ready-Made-Organismen für soziologische Konstellationen, Erkenntnisweisen und kollektive Imaginationen. Es sind die Allegorien unseres Lebens.

Vitus Weh, Die Taufliege als Menschenmodell. Zu den Arbeiten von Thomas Feuerstein, in: Andreas Braun (Hg.), Thomas Feuerstein. FLY ROOM, Innsbruck 2011, S. 7 ff.

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